Nachts

Nachts, wenn man ganz leise ist,
kann man die Schritte
der Gedanken hören,
wie sie im Rhythmus
eines vergangenen Tages
ihre Kreise ziehen.

Mal schwer schlurfend,
mal leichtfüßig tänzelnd,
mal zum Blues,
mal zum Lied.

Nachts, wenn man durch die
geschlossenen Lider schaut,
auf die Spuren im verronnenen Sand,
dem Sand des Stundenglases,
aufgetürmt zur Düne ohne Festigkeit,
rinnend bei den leisesten Wimpernschlag.

Mal sieht man Stunden,
mal sieht man Sekunden,
mal mit Bedeutung,
mal ohne jeden Sinn.

Nachts, wenn man durch seine Adern fließt,
die Härchen auf der Haut dem Puls folgen,
den Druck des alten Tages spüren lassen,
die Kälte zwischen Feinden,
die Hitze zwischen Liebenden,
den Wind der Eile
und der Schmerz aus Verletzungen.

Man spürt es steicheln,
man spürt es prickeln,
mal unheimlich sanft,
mal mit purer Gewalt.

Nachts, wenn die Gedanken kreisen,
die man nicht löschen kann,
verdichten sie sich zu kleinen Lichtern,
in deren Schein die Kreativität gedeiht,
in deren Hitze das Schwere verbrennt,
vor deren Flammen die Geister fliehen.

 

Die Nacht ist kein Ende, sondern ein Verstärker. Wenn alles andere schweigt, reden die Gedanken lauter, als sie sollten. Manche treten auf Zehenspitzen, andere marschieren im Takt der Schuld, der Sehnsucht oder eines vergessenen Gesprächs.

Vielleicht brauchen wir diese Dunkelheit, um zu sehen, was tagsüber überblendet wird. In ihr vermischen sich Haut, Herz und Hirn zu einer Synästhesie aus Erinnerung und Möglichkeit. Schlaf ist dabei nur das Theater, in dem das Publikum selbst spielt – flüsternd, kreisend, funkelnd.

Und irgendwo zwischen Düne und Gehirnwindung entsteht ein Licht, das kein Morgen löschen kann: Kreativität – geboren aus dem leisen Chaos der Nacht.

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